Karthaus-Prüll

Die Weltbühne, 12. August 1930

Die Tagödie der Lehrerin Maldaque

(...) Nun begann der zweite Akt der Tragödie. Verfolgt und gehetzt, Tag und Nacht von den Spitzeln gegenüber beobachtet, einen Monat vor der lebenslänglichen Anstellung mittellos auf die Straße gesetzt, brach die Lehrerin körperlich und seelisch zusammen. In wenigen Tagen wurde aus der bis dahin Gesunden ein von den Furien der Verfolgung gepeitschtes Wesen. Darauf aber hatte man nur gewartet. Elly Maldaque wurde unter Zustimmung ihres von religiösem Fanatismus beherrschten Vaters am 9. Juli plötzlich zwangsweise in die Irrenanstalt Karhaus-Prüll, und zwar in die Abteilung für schwerste Fälle gebracht. Jeder Besuch von Bekannten und Freunden war verboten. Als Kolleginnen zwei Tage vor ihrem Tode die Hinzuziehung eines zweiten Arztes - Landgerichtsarzt Doktor Bunz - ermöglichten, erklärte der verantwortliche Anstaltsarzt Doktor Corde, das wäre nicht mehr notwendig, da eine »wesentliche Besserung« im Befinden eingetreten sei.

Zwei Tage später war sie tot. Der Landtagsabgeordnete Schaper, der sie am Sonntag nachmittag besuchen wollte, erhielt vom Pförtner die Antwort: »Sie können nicht mehr zu ihr, sie ist gestorben.« Der Wunsch des Abgeordneten, die Leiche zu besichtigen, wurde vom Pförtner zunächst mit der Erklärung abgelehnt, daß an der Leiche noch nichts hergerichtet und sie infolgedessen noch nicht zur Besichtigung freigegeben sei. Als schließlich der Direktor der Anstalt - kreideweiß, mit vibrierenden Gesichtsmuskeln, wie Abgeordneter Schaper berichtet - erschien, erklärte er, die Leiche Elly Maldaques sei bereits - seziert. Zwischen zwölf und ein Uhr war Elly Maldaque gestorben. Um fünf Uhr - am Sonntag nachmittag! - soll die Leiche bereits seziert gewesen sein. Klarer haben wohl auch die Verantwortlichen an der lübecker Kindertragödie nicht versucht, die Spuren ihres Handelns zu vertuschen.

Auszüge aus dem Krankenprotokoll, Verfasser Dr. Korte

10. Juli. Bei der Visite im Bett sitzend, fuchtelt mit den Händen in der Luft herum, blickt den Arzt starr an, reicht aber die Hand. Gibt auf Fragen nur halbe Antworten. »Ich heiße... ja ich heiße... das wissen Sie schon... wollen Sie mich umbringen... lassen Sie mich doch leben...«

11. Juli. Bei der Visite in großer Erregung, mußte leicht angebunden werden. Nimmt keine Nahrung zu sich.

12. Juli. Mußte heute mit der Sonde gefüttert werden. Da sie wegen ihrer dauernden Unruhe an den Beinen blaue Flecken bekommen hat, wird sie beschränkt und erhält eine Skopol.-Injektion.

14. Juli. Wegen ihrer Unruhe im Wickel.

19. Juli. Puls spricht auf Digalen kaum an; wird zunehmend somnolent; collapiert beim Aufrichten;

20. Juli. Unter den Zeichen zunehmender Herzinsufficienz heute Mittag Exitus. Todesursache: Centrale Pneumonie, Herzinsufficienz bei Hypoplasie

(zitiert nach Jürgen Schröder "Horváths Lehrerin von Regensburg - Der Fall Elly Maldaque", 1982)