Armut in Regensburg

Premiere

Armut in Regensburg

Forumtheater

22. November 2012
Brandlbräu Regensburg

 


Besetzung

Verfasser/innen, Regie, Bühne … Anja Arndt-Grundei, Marion Reitinger, Maximilian Högl, Natascha Müller, Stefanie L., Karolina Müller, Kurt Raster

Presseinfo

Armut in Regensburg

Ein Forumtheaterprojekt

Regensburg ist eine „Top-Region mit Zukunftschancen“, Universitäts- und Hochschulstadt, hat eine wunderschöne, teilweise aufwändig hergerichtete Altstadt, beherbergt viele bekannte Firmen und weist eine der höchsten Arbeitsplatzdichten Deutschlands auf. Dennoch gibt es auch in dieser so wohlhabenden Stadt Armut.

Im Forumtheaterstück „Armut in Regensburg“ – dem neuen Projekt des ueTheaters - werden einige original Regensburger Armuts-Geschichten aus verschiedenen Generationen dargestellt.

Forumtheater ist ein von dem ehemaligen Brasilianischen Senator Augusto Boal entwickeltes Instrument basisdemokratischer Politik. Das heißt: Es wird ein Theaterstück aufgeführt, in dem verschiedene Szenen mit Konflikten auftauchen. Diese werden anschließend mehrmals gespielt – und durch das Eingreifen des Publikums verändert. So soll eine befriedigende Lösung für das dargestellte Problem gefunden werden und nach Möglichkeit in die Politik einfließen.

Der Kreativität des Publikums sind keine Grenzen gesetzt!


Kritik

Mittelbayerische Zeitung, 24. November 2012

Wenn man vor Depressionen kaum noch aus dem Bett will

Hartz IV, der „Irrsinn Bürokratie“ und Leiharbeit: Die Bühnenakteure demonstrierten anhand von realen Beispielen die soziale Schieflage überzeugend. Von Daniel Steffen

REGENSBURG. Warum die Armut in Zahlen präsentieren, wenn dahinter Menschen mit einer traurigen Lebensgeschichte stecken? Um diese Schicksale den Besuchern näherzubringen, entschloss sich die freie Theatergruppe „ueTheater“ zum Bühnenstück namens „Armut in Regensburg“. Das Stück feierte am Donnerstag bei einem vollen Festsaal im Brandl-Bräu seine Premiere. Vor allem junge Menschen schauten zu und konnten anbei viele Fakten über die Armut vor der Haustür erfahren: Zwischen den einzelnen Spielszenen wurden Infoblöcke eingearbeitet, die Themen wie den Hartz-IV-Satz, den „Irrsinn Bürokratie“, Gentrifizierung und Leiharbeit beleuchteten.

Dass die Akteure für mehr Gleichheit unter den Menschen werben wollen, daraus macht Regisseur Kurt Raster keinen Hehl. Nach dem Leitsatz „Der Mensch ist gut, die Umstände sind mies“ will „Armut in Regensburg“ die Menschen wecken, eben an diesen Umständen etwas zu ändern. Das brachten die Schauspieler am Donnerstag wirkungsvoll zum Tragen. Statt einseitig auf den Amtsschimmel zu hämmern, wurden auch die Jobcenter-Mitarbeiter im gewissen Maße verteidigt: So sei ein Sachbearbeiter für „140 bis 150 Bedarfsgemeinschaften zuständig“, müsse sich durch „650 Seiten pro Akte“ wälzen und sei demnach mit „87 000 Seiten Papier“ beschäftigt, prangerte einer der Infoblöcke an.

Das „System“ in der Kritik

Mit dem Mitleid hielt es sich jedoch in Grenzen: So seien die Agenturen für Arbeit nur bei 7,2 Prozent aller Fälle „an der Vermittlung des Arbeitsplatzes beteiligt“, ferner wurden im Stück repressive Maßnahmen wie die Kürzung von sozialen Leistungen kritisiert. Mit Geschick verstand es das ueTheater, die sozialen Missstände als Fehler im System darzustellen, der eine Kette von Problemen auslöst.

Konkret wurde das am Beispiel einer alleinerziehenden Mutter (gespielt von Anja Arndt-Grundei): In Trennung lebend, muss sie die große Wohnung nun allein bezahlen und sich allein um ihre Kinder kümmern. Ihren Job hat sie verloren, weil sie aufgrund ihrer Kinder für den Beruf nicht in dem Maße „flexibel“ sein konnte, wie es der Arbeitgeber verlangte. Jetzt wendet sie sich ans Amt und beantragt einen Mietzuschuss und einen Zuschuss für das Schul-Mittagessen der Kinder. Doch das dringend benötigte Geld lässt zwei Monate auf sich warten.

In einem zweiten Fallbeispiel spielte Maximilian Högl einen depressiven Arbeitslosen: Vom Fehlen einer „vernünftigen“ Job-Perspektive gezeichnet, hat er kaumLust, den Tag zu bestreiten.

Eine richtige Perspektive bleibt aus

Den einzigen Trost bietet ihm seine Frau (Stefanie L.), die ihm zum Gang zur Arbeitsagentur überredet. Dort sollten sich die Befürchtungen des Mannes bewahrheiten: Er wird zum wiederholten Male zu einem Bewerbungstraining angehalten und soll ferner zwei Wochen auf einem Friedhof das Laub fegen.

Im zweiten Teil des Abends nahm das Theaterforum weiter an Fahrtwind auf, als auch viele Zuschauer in eine Rolle schlüpften und den Szenen eine neue Richtung gaben. Die Szenen wirkten auch deshalb überzeugend, weil sie konkrete Regensburger Fälle wiedergaben: Im Vorfeld hatten Natascha Müller und andere Theater-Mitglieder bei sozialen Einrichtungen wie dem „Strohhalm“ oder der „Regensburger Tafel“ die Fälle recherchiert. Der gebührende Applaus war den Akteuren sicher.

 

➤ Auf der Bühne wirkten mit: Anja Arndt-Grundei (Mutter), Marion Reitinger (Vorarbeiterin, Gerichtsvollzieherin, Stammtischbruder), Maximilian Högl (Leiharbeiter/Arbeitsloser, Arzt), Stefanie L. (Bankangestellte, Frau des Leiharbeiters), Karolina Müller (Schulsozialarbeiterin, Jobcentermitarbeiterin, Flaschensammlerin/Rentnerin).

➤ Um die Recherche und die Organisation kümmerte sich Natascha Müller.

➤ Durch den Abend führte der Leiter des ueTheaters, Kurt Raster.

➤ Der Eintrittspreis staffelte sich nach dem Solidarprinzip: So zahlten Bafög- Empfänger 1,40 Euro, „Normalerverdiener“ drei Euro. Es konnte eine Spende obendrauf gelegt werden.

➤ Die letzte Vorstellung findet heute um 16 Uhr im Brandl-Bräu statt.


Video

 

Szenenbilder