Anarchie in Bayern

Premiere

Anarchie in Bayern

von Rainer Werner Fassbinder

15. Mai 2013
Elly Maldaque Theater
an der Uni Regensburg

 


Besetzung

Tochter Claudia Konhäuser
Ihr Freund Joachim Lösel
Mutter Sara Rettig
Vater Thomas Jahnke
Großer Vorsitzender Martin Oswald
Revolutionär 1 Iris Hüttinger
Revolutionär 2 Florian Schmid
Soldat 1 / Hure 1 Magdalena Hofmann
Soldat 2 / Hure 2 Lena Ghio
Sprecher / Ministerpräsident Maximilian Högl
Requisiten / Einblendungen / Plakat Isabel Kunert
Orga Amelie Altenbuchner, Andreas Hastreiter
Regie Kurt Raster

Presseinfo

A Anarchie muaß hea!

ueTheater führt Fassbinder-Stück auf

Anarchie liegt gerade im Trend, ob Occupy, Transition Town, Studentenproteste oder die Bewegung der Empörten, überall wird wie selbstverständlich nach libertären Ideen und Vorstellungen vorgegangen, oftmals ohne dass es den Akteuren selbst bewusst ist.

Basisdemokratie, Konsensprinzip und Selbermachen, statt auf die Versprechen von Politikern zu warten, sind die Ingredienzien dieser neuen Bewegung.

Höchste Zeit daher ein grandioses, frühes Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder auszugraben: „Anarchie in Bayern“. In dieser Utopie testet Fassbinder den anarchistischen Ernstfall. Junge Revolutionäre überrumpeln die Staatsmacht und rufen die „Sozialistische Anarchie Bayern“ aus.

Anarchie in Bayern? Kann das gut gehen? Kann Anarchie überhaupt gut gehen? Mit diesem Thema beschäftigt sich das ueTheater im zweiten Teil des Abends. Eine Dokumentation über eine basisdemokratischen Kooperative wird gezeigt und gemeinsam mit dem Publikum wird erforscht: Wie geht das eigentlich, Organisation ohne Herrschaft?


Kritik

Anarchie in Bayern

ueTheater spielt Fassbinder. Von Ludwig Rimböck und Stefanie Heindl, Autoren der Regensburger Straßenzeitung "Donaustrudl"

Das Regensburger ueTheater lud am 15. Mai zur Premiere seines Projektes „Anarchie in Bayern“, aufgebaut um das gleichnamige Stück von Rainer Werner Fassbinder von 1969. Dabei konnte die kleine Truppe von Anfang an begeistern, nicht nur durch die Motivation, mit der die Schauspieler offensichtlich ans Werk gingen, auch die gelungene technische Umsetzung des Bühnenbildes leistete ihren Beitrag zum guten Gesamteindruck.

„Dass äußerliche Veränderungen nicht ausreichen, um im abendländischen, auf Unterdrückung und Autorität fixierten Bewusstsein etwas Wesentliches zu bewirken“, so stand es bei der Uraufführung vor 44 Jahren im Programmheft. Oder, etwas einfacher gesagt, lässt sich Freiheit befehlen?

Dennoch, Fassbinders Stück, ebenso wie seine Umsetzung durch das ueTheater, ist keine Gutmenschen-Lehrstunde, die uns mit erhobenem Zeigefinger eintrichtert, wie schön es denn sein könnte, wenn nur alle vernünftig wären. Es entlarvt den Mythos der „Anarchie von oben“ als Widerspruch in sich und konfrontiert das Publikum mit einer unbequemen Wahrheit, nämlich dass Freiheit etwas ist, womit man erst einmal umgehen können muss. Eine in Reih und Glied angetretene Familie Normalzeit, auf der verzweifelten Suche nach jemandem, der ihr die Angst vor der Freiheit nehmen kann, ist Parabel hierfür; Vater Normalzeit, kongenial dargestellt von Thomas Jahnke, in steter Sorge um Auto, Fernseher und Familie – in etwa dieser Reihenfolge – weiß dann auch mit der neuen Freiheit nichts besseres anzufangen, als sie als Rechtfertigung für einen Mord heranzuziehen. Der Lacher, den er mit seinem verzweifelten Ausruf „Warum ag'rat mei Auto?“ noch hervorruft, bleibt einem im Halse stecken, wenn man später im Schattenriss mitansieht, wie er einen ihm völlig Unbekannten zu Tode prügelt. Daran krankt in Fassbinders Stück die Anarchie, und daran scheitert sie, denn wie es in dem Lied von der Freiheit heißt, „der Mensch ist leider nicht naiv, der Mensch ist leider primitiv…“

Aber das ueTheater lässt sein Publikum mit diesen verstörenden Szenen nicht allein. Nach einer kurzen Pause, und eingebettet in die sympathische Moderation von Regisseur und Theatergründer Kurt Raster, folgt auf Fassbinders Dystopie ein Film über ein gelungenes Projekt einer basisdemokratisch selbstverwalteten Initiative, nämlich der landwirtschaftlichen Kooperative „Cecosesola“ in Venezuela. Dort arbeitet man von der Basis her, und auch wenn das dennoch nicht zur Entstehung eines anarchistischen Wunderlandes geführt hat, der Erfolg gibt den Lateinamerikanern recht. Immer wieder fällt in den Diskussionen ein Kernbegriff libertärer Organisationsstruktur – der Konsens. Und das leitete dann auch zum dritten Teil des Abends über, zu den Konsensübungen. Das Stimmungsbarometer als Meinungsbild(ung) zum Mitmachen, das Fischbecken als Variante der klassischen Diskussion, vorgestellt an der im Stück aufgeworfenen Frage, ob die Ehe abgeschafft werden soll oder nicht, irgendwo zwischen Werkzeug und Spielzeug.

Trotz der Begeisterung, mit der das Ensemble und auch die knapp 100 Premierenbesucher bei der Sache waren ist Regensburg dann doch nicht zur Keimzelle der Anarchie in Bayern geworden. Aber die Leute vom ueTheater haben ihrem Publikum etwas zu denken, und damit hoffentlich auch ein Stück mehr ganz persönliche Freiheit mit auf den Weg nach Hause gegeben.


Szenenbilder

Fotos: Herbert Baumgärtner