Vom Nutzen des Drachen

Premiere

Vom Nutzen des Drachen

Nach einer Kurzgeschichte von Stanislaw Lem

28. Mai 2017
Elly Maldaque Theater
an der Uni Regensburg

 


Besetzung

Landarbeiter, Soldat, Demonstrant, Kameramann, Publikum Hussein Alkadi
Priesterin, Näherin, Anzugträgerin, Geisel, Publikum Marianne Guérin
Landarbeiterin, Sargträgerin, Demonstrantin, Attentäterin Fiona Kappaun
Tichy Barbara König
Trommler, Soldat, Demonstrant, Verschwörer, Minenarbeiter, Publikum Jordi Kornmayer
Landarbeiter, Näher, Trauender, Demonstrant, Verschwörer, Minenarbeiter, Publikum Martin Mühlich
Landarbeiterin, Vorarbeiterin, Sargträgerin, Demonstrantin, Geisel, Berater, Publikum Marlene Neuland
Näherin, Sargträgerin, Demonstrantin, Wissenschaftlerin, Geisel, Polizistin Nadja-Verena Paetz
Näher, Sargträger, Demonstrant, Geisel, Berater, Publikum Hendwin Perdana
Landarbeiterin, Näherin, Begleitung, Demonstrantin, Verschwörerin, Publikum Sarah Schlupkothen
Landarbeiterin, Näherin, Entkommende , Demonstrantin, Geisel, Beraterin, Publikum Schreiber Verena
Text, Bühne, Regie Kurt Raster

Presseinfo

Vom Nutzen des Drachen

Nach einer Kurzgeschichte von Stanislaw Lem

Da lebt ein Drachen auf einem fernen Planeten der nichts tut, außer fressen und ausscheiden. Doch alle scheinen zufrieden damit, obwohl die Bevölkerung heftig unter dem Drachen leidet, obwohl der Drache mit Sicherheit irgendwann den Planeten zerstören wird.

Der Weltraumreisende Tichy will diesem Phänomen auf den Grund gehen. Er besucht den Planeten und fragt die Leute: Warum lasst ihr euch das gefallen? Warum killt ihr das Vieh nicht einfach? Doch ihm wird entgegnet, so einfach wäre das nicht, es hingen viele Arbeitsplätze an der Versorgung und Ruhigstellung des Drachen, die ganze Wirtschaft würde zusammenbrechen, wäre der Drache plötzlich nicht mehr da.

Lems Kurzgeschichte ist eine wunderbare und leider auch wunderbar zynische Parabel auf so viele unsinnige Dinge in unserer Welt. CO2 zerstört das Klima? Millionen von Menschen werden deswegen in absehbarer Zeit verrecken? Aber deswegen auf Autos verzichten, das geht nicht! Das würde ja der Wirtschaft schaden!

Nur ein Planentenwesen wagte es, sich dem Drachen zu widersetzen. Es plante ein Attentat, wurde aber erwischt und landete im Gefängnis, vom Wutgeheul der aufgebrachten Medien, Politiker_innen und braven Bürger_innen ob der schändlichen Tat begleitet.

Tichy nimmt Kontakt zu diesem bemerkenswerten Wesen auf.


Kritik

Mittelbayerische Zeitung 31.05.2017

Fatale Mechanismen unbegrenzter Macht

Weltall-Satire mit Anspruch: Das „ueTheater“ holt Stanislaw Lems Kurzgeschichte „Im Namen des Drachen“ in die Neuzeit.
Von Veronika Lintner, MZ

Regensburg.„Wir sind bislang das einzige, dezidiert politisch-gesellschaftskritische Ensemble an der Uni Regensburg“ – so kämpferisch stellt sich das „ueTheater“ im Programmheft vor. Das Ensemble präsentiert derzeit die Science-Fiction-Posse „Vom Nutzen des Drachen“. Die fantasievolle Story hat Biss – eine Weltall-Satire mit hohem politischen Anspruch.

Kurt Raster ist in Personalunion Autor und Regisseur – und ein Revoluzzer auf dem Theater-Campus. Vor 15 Jahren gründete er das „ueTheater“. Schon seit Jahren kämpft er für eine Umbenennung des „Theaters an der Universität“. So klebt auch an diesem Montag der Name „Elly-Maldaque-Theater“ über allen Türen des Foyers. Auf diese Weise will Raster an die Lehrerin Elly Maldaque, ein frühes Opfer des Nationalsozialismus, erinnern. Mit diesem Anliegen stößt er jedoch auf Widerstände und kreuzt die Klingen mit dem Studentenwerk.

Die Bühnenadaption: schlicht

Bei allem Theater um das Theater geht fast unter, welch kreative Energie in dieser Truppe steckt. Diesmal wagen sich die Studierenden in den Weltraum. Die Kurzgeschichte „Im Namen des Drachen“ des Polen Stanislaw Lem erzählt von den Abenteuern des Raumfahrers Ijon Tichy. Er bekommt davon Wind, dass ein gefräßiger Tyrann den Planet Abrasien bedroht. Ein gigantischer Drache herrscht, frisst und wütet dort. Doch jeder huldigt ihm und wirft sich ihm zu Füßen. Tichy begibt sich also nach Abrasien, um den Dingen auf den Grund zu gehen.

Die Bühnenadaption gibt sich schlicht. Drei Zuschauertribünen und eine Großleinwand umranden die Spielfläche. Tichy meldet sich auf der Leinwand zu Wort. Der Abenteurer erzählt in seinem Videotagebuch von überaus verstörenden Beobachtungen auf dem Planeten. Dort begegnet er hungernden Feldarbeitern, die in braune Säcke gekleidet sind. „Ehre sei dem Drachen“, predigen sie. Er trifft auf Näherinnen, die den „Drachenversorgern“ für einen Hungerlohn Hosen schneidern.

Der blinde Gehorsam schockiert

Tichy, wunderbar gemimt von Barbara König, schockiert der blinde Gehorsam vor dem Drachen. Schließlich besucht er eine Attentäterin, die den Despoten beseitigen wollte. Doch sie sitzt nun hinter Gittern.

Lems Geschichte zeichnet mit viel Zynismus ein düsteres Szenario. Rasters Inszenierung ist minimalistisch, aber liebevoll gestaltet. Bühnenzauber? Funktioniert auch ohne Requisitenschlacht. Die Bildprojektionen untermalen eindrücklich die Szenen.

Stanislaw Lem spielte einst spitzfindig auf die Missstände in der Sowjetunion an. Kurt Raster holt die Geschichte in die Moderne, mit Zitaten und Collagen. Demonstranten marschieren auf, während im Hintergrund Bilder von Anschlägen auf Asylheime aufflackern. Und in der Nähfabrik zitiert die Vorarbeiterin aus den Richtlinien des umstrittenen Textil-Discounters Kik.

Abgründiges Bild des Kapitalismus

Diese Mosaiksteine formen in der Summe ein abgründiges Bild des Kapitalismus. Umweltverschmutzung, Armut, Aufrüstung – ein Rundumschlag gegen die Verwüstung der Zivilisation. Dabei schreckt das Stück nicht vor moralischen Schwarz-Weiß-Kontrasten zurück.

Der Plot schlägt aber auch unerwartete Haken. Ist der Drache wirklich die Gefahr? Oder sind es vielmehr seine Handlanger? Und darf eine Revolution mit allen Mitteln kämpfen? So gewinnt die politische Botschaft an Vielschichtigkeit. In diesem Drachen vereinen sich schließlich die fatalen Mechanismen der unbegrenzten Macht. Dabei sind Sorge und Panik das wahre Kraftfutter des Untiers. Tichy weiß: „Macht und Angst sind ein perfektes Paar, denn sie bedingen einander.“


Video

 

Dokumentation

Die Priesterin zitiert Auszüge aus dem berühmten Requerimiento. Es wurde den lateinamerikanischen Ureinwohner_innen von Priestern vorgelesen, die die spanischen Konquistadoren bei ihren Eroberungen begleiteten:

(…) Im Namen des sehr hohen und sehr mächtigen und sehr katholischen Verteidigers der Kirche, des immer siegreichen und nie besiegten, des großen Königs Ferdinand V. von Spanien, von beiden Sizilien, von Jerusalem und den Inseln und dem Festland des Mar-Oceano usw., Bezwingers der Barbarenvölker und der sehr hohen und sehr mächtigen Herrin, der Königin Dona Juana, seiner sehr lieben und sehr geliebten Tochter, unserer Herren. Ich, Predarias DaVila, sein Diener, Bote und Kapitän, verkünde euch und tue euch zu wissen, so gut ich kann, daß Gott, unser Herr, der eine und ewige, Himmel und Erde und einen Mann und eine Frau erschaffen hat, deren Söhne und Nachkommen wir und alle Menschen der Welt waren und sind und alle sein werden, die nach uns kommen werden. (…) Über alle diese Völker gab der Herr, unser Gott, einem, der St. Petrus genannt wurde, das Amt, der Herr und Vorgesetzte aller Menschen der Welt zu sein, dem alle gehorchen sollten, der das Haupt des ganzen Menschengeschlechtes sein sollte, wo immer die Menschen lebten und wären, und er gab ihm die Welt als sein Reich und seine Gerichtsbarkeit. (…) Wenn ihr es aber nicht tut oder es in boshafter Weise aufschiebt, so tue ich euch kund, daß ich mit der Hilfe Gottes mit Gewalt eindringen werde gegen euch und euch bekriegen werde in jeder Art und Weise, wie ich kann und euch unterwerfen werde unter das Joch und den Gehorsam der Kirche und ihrer Hoheiten. Und eure Personen und eure Frauen und Kinder werde ich gefangen nehmen und zu Sklaven machen und als solche sie verkaufen und über sie verfügen, wie Seine Hoheit es gebietet, und werde euch eure Güter nehmen und euch allen Schaden und alles Böse antun, wie ich kann, wie Untergebenen, die nicht gehorchen und ihren Herrn nicht anerkennen wollen und ihm widerstehen und widersprechen, und ich erkläre, daß die Tötungen und Schäden, die sich daraus ergeben werden, zu euren Schulden gehen und nicht zu denen Seiner Hoheit, noch der Herren, die mit mir gekommen sind. (…)

Die Vorarbeiterin der Näher_innen zitiert aus dem Verhaltenskodex KiK Textilien und Non-Food GmbH:

Als international tätiges Unternehmen respektieren wir die Menschenrechte und erwarten und unterstützen die Beachtung anwendbarer Arbeits-, Arbeitssicherheits- und Umweltschutzrechte durch alle am Herstellungsprozess beteiligten Parteien. Niemand, der mit oder für uns arbeitet, soll seelischen oder körperlichen Schaden nehmen. (…) Alle Angestellten und Arbeiter müssen mit Respekt und Würde behandelt werden. Jegliche Art der körperlichen Züchtigung, psychologischen, sexuellen oder verbalen Belästigung und Misshandlung, und jegliche andere Form der Einschüchterung sind verboten. (…) Beschäftigte, die eine Beschwerde auf Grund von Verstößen gegen Regelungen dieses Verhaltenskodexes oder die nationalen Gesetze erheben, dürfen keiner Form von Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt werden.(…) In jedem Fall dürfen Arbeiter nicht mehr als 48 Stunden in einer regulären Arbeitswoche arbeiten. Überstunden müssen freiwillig geleistet werden, dürfen 12 Stunden pro Woche nicht übersteigen und müssen entlohnt werden. Alle Angestellten und Arbeiter müssen nach sechs aufeinander folgenden Arbeitstagen mindestens einen freien Tag haben. (…) Alle Angestellten und Arbeiter müssen für die in der normalen Arbeitszeit erledigte Arbeit eine Bezahlung erhalten, die wenigstens dem gesetzlichen oder branchenüblichen Mindestlohnniveau entspricht, je nachdem, welches höher ist. Überstunden müssen mit gesetzlichen oder branchenüblichen Zuschlägen vergütet werden. Darüber hinaus sind die Geschäftspartner verpflichtet eine Entlohnung anzustreben, die die Lebenshaltungskosten deckt und die einen Betrag zur freien Verfügung der Arbeiter und Angestellten enthält, falls die gesetzlichen Mindestlöhne hierfür nicht ausreichen. (…) Der Arbeitsplatz und das Ausüben der Tätigkeit dürfen den Arbeitnehmer, seine Gesundheit und Sicherheit nicht gefährden. (…) Es ist das Recht der Angestellten und Arbeiter, eine Arbeiterorganisation (oder Gewerkschaft) ihrer eigenen Wahl zu gründen oder sich einer solchen anzuschließen zum Zweck der Kollektivverhandlungen.

Die Rede der Anzugträgerin ist eine Kombination aus einer Ansprache von Joachim Gauck zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt und den Verteidigungspolitische Richtlinien der Bundeswehr:

Wir sind heute in Trauer vereint, untrennbar vereint, mit den Angehörigen der Opfer des Anschlages von Berlin. Wir beklagen die Toten. Wir bangen um die Verletzten. Und wir fühlen mit ihren Familien, ihren Freunden. Wir werden sie nicht allein lassen in ihrem Schmerz. Und wir denken in diesem Moment auch an die vielen Opfer, die der Terror gegen die Freiheit überall auf der Welt gefunden hat. Dieser mörderische Anschlag war, wie jene, die ihm vorausgegangen sind, ein Angriff auf arglose Menschen. (…)Aber wir wissen, dieser Anschlag galt, wie die vor ihm, uns allen. Dies war ein Angriff auf unsere Mitte, auf unsere Art zu leben. (…) Wir sind jetzt erschüttert, aber diese Taten erschüttern nicht unsere überzeugungen. Wir stehen auf einem festen Grund und wir stehen zusammen, in Deutschland, in Europa und überall dort, wo Menschen in Freiheit leben und leben wollen. Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen. Er wird unser Miteinander nicht spalten. (…)Unser Zusammenhalt wird nicht schwächer, er wird stärker, wenn wir angegriffen werden. Wir suchen einander, wir sprechen miteinander, und wir sorgen füreinander. (…)Die Bürger kö­nnen darauf vertrauen, dass der Staat entschlossen handelt, um Sicherheit zu gewährleisten. Und vor allem machen wir uns eins bewusst: Unser Deutschland, es bleibt ein Land der Freiheit, des Zusammenhalts und des inneren Friedens.

Verteidigungspolitische Richtlinien der Bundeswehr: Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet. Verknappungen von Energieträgern und anderer für Hochtechnologie benötigter Rohstoffe bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Staatenwelt. Zugangsbeschränkungen können konfliktauslösend wirken. Störungen der Transportwege und der Rohstoff- und Warenströme, zum Beispiel durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs, stellen eine Gefährdung für Sicherheit und Wohlstand dar. Deshalb werden Transport und Energiesicherheit und damit verbundene Fragen künftig auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen.

Alle Aussagen während der Demonstration stammen aus dem Beitrag „Pegida: Die Interviews in voller Länge, Teil I+II″ des Fernsehmagazins Panorama vom 18.12.2014. Lediglich die Aussage „Ich bin kein Nazi″ wurde in „Ich bin kein Menschenfeind″ abgeändert.


Szenenbilder

Fotos: Herbert Baumgärtner