Maß für Maß

Premiere

Maß für Maß

von William Shakespeare

15. März 2006
Theater an der Universität Regensburg

 


Besetzung

Herzog Rolf Muszeika
Diener, 2. Edelmann, Henker, Schwamm, Bote Thomas Pfeiffer
Escalus, Claudio, Bernardin Stefan Aigner
Angelo Oliver Endres
1. Edelmann, Kerkermeister, Wachtmeister Singerl Martin Biersack
Lucio Christian A Vogl
Madam van Hinten, Julia, Nonne, Mariana Simone-Anne Aufhauser
Bazi Haltslochzu, Bruder Peter, Knabe Uli Ederer
Isabella Daniela Völkl
Frau McKinsey Petra Müller
Bühnenbilder Barbara Bacher
Regie Kurt Raster

Presseinfo

"Gerechtigkeit, mein Fürst!"

ueTheater inszeniert Shakespeares "Maß für Maß"

"Maß für Maß" von William Shakespeare war nach dem Krieg eines der meistgespielten Stücke auf deutschen Bühnen. Heute gelangt es eher selten auf die Spielpläne, was verwundert, denn der Stoff ist erstaunlich aktuell. Es finden sich verblüffende Parallelen zur Jetztzeit, die schon Brecht zu einer Neubearbeitung des Stoffs inspirierten. Ein Stellvertreter wird eingesetzt, der für den regierenden Herzog die Drecksarbeit erledigen soll. Der Herzog verdrückt sich und beobachtet heimlich die Entwicklung.

Während es bei Shakespeare aber lediglich um die Anhebung der sittlichen Moral ging, geht es in der Inszenierung des ueTheaters um knallharte Gewinnmaximierung. Frei nach dem Motto: Ihr wollt Kapitalismus? Dann kriegt ihr Kapitalismus, Maß für Maß!

Shakespeare wird zwar original gespielt, wirtschaftliche "Innovationen" führen allerdings bald zu erheblichen Komplikationen. In einer eingefügten Parallelhandlung wird der Herzog zum Vorstandsvorsitzenden und dessen Stellvertreter zur Angestellten der berüchtigten Beraterfirma McKinsey. Diese hat mit feinstem neoliberalen Instrumentarium für einen kräftigen Anstieg des Shareholder Value zu sorgen. Wie bei Shakespeare so auch in modernen Zeiten: Die Weste der Auftraggeber bleibt sauber.

Wird der Vorstand seinen Gewinn steigern können? Werden sich die Darsteller die brutalen Eingriffe der Beraterfirma gefallen lassen? Wie im richtigen Leben ist alles nur eine Frage der Solidarität.


Dokumentation

McKinsey-Texte

A PARALLELSZENE - Warten

Publikumseinlaß Punkt 5 Minuten nach offiziellem Start. Herzog und Diener stehen bereits auf der Bühne. Herzog schreibt. Diener hält knieend Schreibunterlage. Nachdem das Publikum sich beruhigt hat, schaut der Herzog verstohlen auf die Uhr. Die Szene dauert. Die Schauspieler sprechen in ihrem eigenen Dialekt.

HERZOG: (mit unterdrückter Lautstärke) Georg! Georg!

ESCALUS: (schaut hinter Kulisse hervor) Ja?

HERZOG: Sind sie immer noch nicht da?

ESCALUS: Nein.

HERZOG: Scheiße... Was machen wir jetzt?

ESCALUS: Gerd kommt ja immer etwas später, aber die anderen?

DIENER: Mir tun die Arme weh! (Diener läßt die Arme sinken)

HERZOG: Was machen wir jetzt nur?

DIENER: Fangen wir einfach an, die kommen schon noch!

HERZOG: Wir können doch nicht anfangen, wenn nicht alle da sind!

DIENER: Ich habe nur drei Auftritte. Insgesamt mickrige vier Sätze. Nach dem II. Akt will ich heim. Ich habe keine Lust mehr!

HERZOG: Ja, ich versteh dich ja, aber wir können doch nicht... (Auftritt Bazi durch Publikumstür)

BAZI: Sorry!

HERZOG: Na endlich! Wenigstens einer!

BAZI: Hey, kennt ihr einen Typen namens Kinsey?

HERZOG: Mensch, zieh dich um! Pronto!

ESCALUS: Kinsey? Hat der nicht mal so ein Aufklärungsbuch geschrieben?

BAZI: Geil! Der kommt zu uns!

HERZOG: Jetzt machen sie auch noch ein Pläuschchen!

ESCALUS: Lebt der überhaupt noch?

BAZI: Klar! Ich bin beim Büro vom Cheffe Kolb vorbei, da kamen welche raus. Cheffe Kolb sagte (verstellt seine Stimme) : "Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit. Gefällt mir, McKinseys Motto: 'Das Ende der Bescheidenheit ist erreicht!' Hahaha." Und ein anderer hat gesagt: "Genau! Aber: Client first!" Und dann haben sie alle gelacht. Und Cheffe Kolb hat dann noch allen die Hand geschüttelt und gemeint, daß sich Kinsey bei uns wie zu Hause fühlen soll. Uiuiui, Aufklärung? Ob wir jetzt in der Pause Pornofilmchen kucken müssen? Shakespeare in Love - unzensiert! War auch 'ne 'Sie' dabei. Scharfer Zahn, aber nicht mein Typ.

ESCALUS: McKinsey nicht Kinsey, du Depp! Scheiße! McKinsey bei Kolb... Ade du schöne Kunst!

ISABELLA: (tritt aus der Kulisse hervor) He, wollt ihr nicht langsam anfangen? (auch alle anderen Schauspieler erscheinen auf der Bühne)

LUCIO: Was ist den los? Auf was wartet ihr! Die anderen stecken wahrscheinlich im Stau und kommen gleich. Das Publikum hat für sowas Verständnis.

KERKERMEISTER. Wenn die im Stau stecken, warum war dann das Publikum pünktlich?

MADAM VAN H. Impro! Heute machen wir Impro!

ANGELO: Machen wir doch immer!

ESCALUS: Wir haben McKinsey im Haus! Jetzt fängt's bei uns auch an!

BAZI: Hey Alter! Was ist denn so schlimm an Kinsey?

ESCALUS: McKinsey! Sind so Wirtschaftsberater. Und deren Rat ist immer der gleiche: Weniger Leute ist gleich höhere Gewinne.

ISABELLA: Wenn wollen die bei uns ausstellen? Wir brauche doch alle!

ANGELO: Na, ihn zum Beispiel. (er deutet auf den Diener) Seine schauspielerische Leistung könnte auch ein Schreibtisch übernehmen.

DIENER: Arschloch!

LUCIO: Spielen wir halt wenigstens die erste Szene, bevor die Zuschauer wieder abhauen. Außerdem möchte ich heute noch zum Ochsen nachher.

HERZOG: Oje, oje, ich glaube, ich stehe das nicht durch... (alle wieder auf Position, die Szene wird regulär begonnen)

 

B PARALLELSZENE - McKinsey

McKinsey tritt kurz nach Angelo auf, allerdings durch Publikumstür. Sie geht zur Bühne.

McKINSEY: Guten Tag meine Herren. Ich möchte Sie bitten, Ihre Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne zu versammeln. Ich habe Ihnen Veränderungen mitzuteilen, die Sie betreffen.

HERZOG: Wir sind mitten im Stück! Was soll das? Wer sind Sie? Wer soll sich da konzentrieren?

McKINSEY: Wenn Sie bitte zuerst die Freundlichkeit haben, Ihre Kolleginnen und Kollegen zu versammeln. Ich werde Sie dann umfassend informieren... ah, da kommen sie ja schon, sehr schön... Wie Ihnen bekannt sein dürfte, arbeitet ihr Unternehmen seit geraumer Zeit nicht mehr in einer akzeptablen Gewinnzone.

ISABELLA: Aber wir machen doch Plus!

McKINSEY: Der durchschnittliche Unternehmergewinn stieg im letzten Jahr um 11 %. Bei Ihnen liegt dieser Wert bei 6%. Damit liegt ihr Unternehmen weit unter dem marktüblichen Schnitt. Ihre Geschäftsleitung hat daher meine Firma als Unternehmensberatung hinzugezogen, um diesen unerfreulichen Zustand durch Optimierungsmanagement und Reorganisation zu beenden. Sicher ist Ihnen die international operierende Consulting, Strategy an Management Group McKinsey and Company ein Begriff. Wir beraten weltweit die Entscheider von Spitzenunternehmen aller Branchen. Zu unseren Klienten gehören die meisten der 100 größten Industrieunternehmen der Welt, aber auch wachstumsstarke kleinere Firmen wie hoch innovative Start-ups, viele der führenden Finanzdienstleister, Regierungsstellen sowie private und öffentliche Institutionen. Mit allen entwickeln wir in enger Zusammenarbeit praxisnahe Problemlösungen, die wir gemeinsam umsetzen.

BAZI: Also keine Pornobildchen, schade...

McKINSEY: Wie bitte?

BAZI: Ach nichts.

McKINSEY: Unser im Sommer durchgeführtes Benchmarking ihres Theaterunternehmens hat ergeben, daß es ein enormes Potential kostentreibender interner Effekte gibt. Zudem steigen die externen Kosten. Wie Sie wissen, wurden die Gebühren für Aufführungen in den letzten Jahren von 10 auf 25 Prozent der Eintrittsgelder erhöht. Das ist eine Kostensteigerung von 150 Prozent, die aus verschiedenen Gründen nicht an den Konsumenten weitergegeben werden kann. Die Kosten Ihres Unternehmens liegen in allen Bereichen über denen Ihrer Mitbewerber.

BAZI: Die Kost in unserer Kantine ist bestimmt nicht zu hoch. Die müssen Sie einmal kosten!

McKINSEY: Danke für diesen konstruktiven Einwurf. Ihr Unternehmen leidet außerdem unter Produktivitätsstau, was sich in der Pulikumsquote pro Aufführung zeigt. Dieses Theater hat 242 Plätze. Im Schnitt besuchten Ihre Aufführungen aber lediglich 49 Zuschauer.

KERKERMEISTER: Aber wir können doch nicht nur Boulevardtheater und Musicals machen!

LUCIO: Warum nicht? Euer engagiertes Zeug langweilt doch eh nur die Leute! Ironisch: Kunst! Kunst!

ISABELLA: Schau du deinen Fußball und werd glücklich!

McKINSEY: Wie dem auch sei. Ein straffes Ausgabenmanagement ist für das Überleben Ihres Theaterbetriebs unumgänglich. Es muß verschlankt, gestrafft, rationalisiert werden. Synergieeffekte müssen genutzt, überzähliger Personalüberhang abgebaut werden. In einem ersten Schritt mußte daher bedauerlicherweise allen befristet Beschäftigten gekündigt werden.

KERKERMEISTER: Was?

HERZOG: Gekündigt?

MADAM VAN HINTEN: Alle?

McKINSEY: Sie müssen begreifen, Ihr Unternehmen hat auf Dauer nur eine Chance, wenn die Kosten reduziert werden.

ESCALUS: Das sind keine Kosten, das sind Menschen!

McKINSEY: Ich verstehe Ihre Aufregung, aber die Entscheidung ist bereits getroffen. Dieser Liste können Sie entnehmen, wie die zukünftige Rollenverteilung aussieht.

ESCALUS: Immer weniger sollen immer mehr arbeiten. Andere Rezepte habt ihr nicht auf Lager?

DIENER: Ich bekomme mehr Text!

ANGELO: Das ist das Ende! Unser Diener bekommt mehr Text!

ESCALUS: Wir gehen jetzt sofort alle zum Kolb! Wir beschweren uns! Wir machen dem die Hölle heiß!

McKINSEY: Da werden Sie kein Glück haben. Herr Kolb hat sich vor wenigen Minuten in den wohlverdienten Urlaub verabschiedet. Allerdings nicht ohne mich vorher mit sämtlichen Vollmachten ausgestattet zu haben. Noch Fragen?

MADAM VAN HINTEN: Wie soll das gehen? Ohne Probe!

McKINSEY: Unser Benchmarking ergab, daß Sie zwischen Ihren Auftritten genügend Zeit haben, sich auf die neuen Rollen vorzubereiten. Wir haben hierüber genaue Berechnungen angestellt. Haben Sie Mut, seien Sie flexibel! Wachsen Sie an neuen Herausforderungen. Andernfalls müßten wir leider zu unserem Bedauern feststellen, daß wir uns von den falschen Leuten getrennt haben. Sicher haben Sie Verständnis, daß auch in anderen Bereichen gekürzt werden muß. So entfällt ab sofort der Zuschuß für die (lächelt Bazi an) Kantinenkost.

LUCIO: Aber he! Der Zuschuß ist doch Tradition!

McKINSEY: Traditionen stehen leider oft einer Entwicklung zum Besseren im Wege. Auch von einer anderen Tradition müssen Sie leider Abschied nehmen. Pausen können nicht mehr entlohnt werden und wer länger als 3 Tage krank ist, verliert einen Urlaubstag. Dafür sind Ihre Arbeitsplätze gesichert.

ISBELLA: Aber das geht doch nicht...

ESCALUS: (zynisch 6 % Gewinn!

McKINSEY: Und nun bitte ich Sie, in Ihrer Veranstaltung fortzufahren. Ich werde heute Ihrer Performance beiwohnen, um zu sehen, welche Möglichkeiten Ihre Inszenierung noch bietet. Sie werden sehen, zusammen werden wir es schaffen. Ach, wenn Sie die Güte hätten mir einen Stuhl zu besorgen. Am besten stellen sie ihn dorthin. Danke. (Diener holt Stuhl(

DIENER: (mit Herrscherstuhl) Aus unserem Fundus. Habe ich extra für Sie geholt.

McKINSEY: Wie aufmerksam, Danke.

DIENER: (zurück auf seinem Platz) Na, was ist? Fangt schon an!

 

C PARALLELSZENE - Alfredo

McKinseys Handy klingelt.

McKINSEY: Hallo Schatz! ... Nein, bei mir wird es heute etwas später, du weißt ja, der neue Auftrag ... Nein, geht ohne mich. Aber sag Alfredo 'Hallo' von mir! Und vergiß nicht wieder, ihm zu sagen, daß du eine Trüffelallergie hast ... Ich dich auch ... 2500 ... Ja, das ist ok. Hoffe nur, daß ich aus diesem Kaff bald wieder wegkomm ... mh, den Porsche könne wir bestellen ... Lacht ... ok, silber, nicht rot ... Tschüß und paß mit dem Chardonnay auf! Ich mag keinen besoffenen Lover ... Lacht ... Aloha!

 

D PARALLELSZENE - Controlling

McKinsey fängt an zu überwachen, macht sich Notizen mit einem schmucken Handheld, macht auch Fotos (Blitz!) mit demselben. Zieht zuerst Vorhang der Seitenbühne rechts auf. Ein Schauspieler ist eingenickt. Jemand rempelt ihn an. Andere massieren sich, trinken Kaffee, rauchen. Bei Erscheinen McKinseys greifen alle zu ihrem Text und lernen. Auf der linken Seite erwischt McKinsey die Schauspieler bei einer Diskussion. Mehr oder weniger gehorsam fangen diese an, Text zu lernen. McKinsey geht wieder auf seinen Platz zurück. Mittlerweile wurde rechts der Vorhang wieder zugezogen. McKinsey verbietet das (Zeigefinger: "No, no!") und zieht den Vorhang wieder auf. Seitenbühnen sind ab sofort sichtbar. Wenn McKinsey wieder auf seinem Platz ist, schleicht sich der Diener, der vorher auch bei der Diskussion beteiligt war, zu McKinsey. Diese macht sich Notizen.

 

E PARELLESZENE - Goya

McKinsey bekommt wieder Handyanruf.

McKINSEY: Hallo Schatz! ... Ach, ihr seid nicht zu Alfredo ... Stimmt, das neue Goya hat eröffnet ... Viele Leute? ... Gute Musik? ... Auch Proleten da? ... Na, auf Dauer können sich die das wohl kaum leisten ... Lacht ... Dachte sowieso, da dürfen nur Aktionäre rein ... Ach, die Aktionäre dürfen auf die Logen, die Normalos müssen unten bleiben? Na, dann weißt du ja, was du mir zum Geburstag schenkst! ... Nicht? Ich helf dir: ein nettes kleines Paketchen mit so netten kleinen Aktien drin! ... Lacht ... Weiß gar nicht, irgendwas mit Maß, Maß um Maß oder so ähnlich ... Lacht ... Nein, kein versoffenes Bauerntheater, du Dummer, Shakespeare! Aber sie trampeln schon etwas rum. Halt was fürs Volk, denen gefällts, mehr oder weniger. Du, hast du die Karten für La Bohéme schon besorgt? Du weißt, diesmal singt die Netrebko, die muß man einfach gesehen haben. Auch irgendein Regierungsfuzzi soll kommen ... Lacht ... Ne, nicht die Merkel, die geht doch nur nach Bayreuth ... Lacht ... Als Walküre? Du Schlimmer du. Ok. ... Bis später.

 

F PARALLELSZENE - Litfaßsäule

McKinsey ruft den Diener zu sich ("Herr Kröber! Kommen Sie doch bitte kurz zu mir!"). McKinsey erteilt dem Diener einen Auftrag. Dieser verläßt kurz das Theater und kommt zurück mit verschiedenen Kleidungsstücken, Armbinden, Trikots, Schärpen, Käppies. Darauf aufgedruckte Werbebotschaften.

ANGELO: Was soll das? Hau ab, du bist nicht dran!

DIENER: Anweisung von McKinsey. Tragt das! Ich kann da auch nichts machen.

ANGELO: Verschwinde von der Bühne! (versucht im Text fortzufahren)

McKINSEY: Gibt es Schwierigkeiten?

DIENER: Sie weigern sich, diese Dinger zu tragen.

ANGELO: Ich bin doch keine Litfaßsäule!

McKINSEY: Bitte, bleiben Sie kommunikativ. Keiner verlangt von Ihnen Unmögliches. Sie machen doch modernes Theater hier? Das Stück spielt meines Wissens im Mittelalter. Trotzdem tragen Sie Anzüge und Armbanduhren.

ISABELLA: Das gehört zum Regiekonzept!

McKINSEY: Um so besser! Sehen Sie, wir leben nicht mehr auf der Insel der Seligen. Heute braucht jede Produktion eine solide, moderne Finanzierung, kräftige liquide Partner in Resourcing und Disposition. Der Staat hat andere Sorgen. Sie kennen doch die momentane Haushaltslage.

ESCALUS: Ach, alles Lüge! Die Reichen sollen Steuern zahlen! Daran liegt's nämlich, Frau Beraterin.

McKINSEY: Gut. Sie haben selbstverständlich das Recht auf Ihre Privatmeinung. Jedenfalls zieht sich der Staat aus der Finanzierung öffentlicher Einrichtungen zurück. Kompetente, dynamische Privatunternehmen treten an dessen Stelle. McKinsey hat ein umfangreiches Fundraising gestartet. Unsere Partner sind sehr interessiert, erwarten aber natürlich auch gewisse Gefälligkeiten, was Sie sicher verstehen werden.

ESCALUS: Ich gehe zum Betriebsrat!

McKINSEY: Der Betriebsrat hat bereits zugestimmt. Der Bestand Ihres Theaters geht vor. Künstlerische Interessen und Empfindlichkeiten müssen in diesen schwierigen Zeiten zurückstehen. Im Übrigen hat mir die Geschäftsleitung, namentlich Herr Kolb, absolute Vollmacht erteilt, auch in künstlerischen Belangen.

LUCIO: Wer zahlt, schafft an. Kommt, machen wir weiter. Es hilft ja doch nichts. Hängt sich ein Kleidungsstück um.

McKINSEY: Ich danke Ihnen für Ihre Einsicht. McKinsey geht wieder auf ihren Platz zurück.

MADAM VAN HINTEN: Das ist doch blöd! Wie soll ich mich da immer so schnell umziehen?

BAZI: Oh, da helf ich dir!

MADAM VAN HINTEN: Nein danke!

BAZI: Ich mach auch die Augen zu! Orientier mich nur mit den Händen...

MADAM VAN HINTEN: Nix!

HERZOG: Diese Veränderungen... Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht, ach...

KERKERMEISTER: Du packst das schon.

ANGELO: So ein Scheiß!

ISABELLA: Wo waren wir? Ach ja...

 

G PARALLELSZENE - Sturz

Isabella stürzt, bricht sich anscheinend einen Arm.

ISABELLA: (schreit, andere eilen ihr zu Hilfe) Es geht schon, au...

LUCIO: Zeig, der ist doch gebrochen! Kannst du deine Finger bewegen?

ISABELLA: Laß mich!

MADAM VAN HINTEN: Tut es sehr weh?

LUCIO: So kannst du nicht mehr spielen!

ISABELLA: Es geht schon! Meinst du, ich will die nächste sein? Ich war heuer schon mal krank. Noch einmal und ich bin draußen.

LUCIO: Aber so kannst du doch nicht weitermachen!

ISABELLA: Schon vergessen? Urlaubssperre bei Krankheit. Habe Jenny versprochen, daß wir heuer ans Meer fahren.

LUCIO: Bist du dir sicher, das es geht?

ISABELLA: Hol mir ein Pfund Schmerztabletten, the Show must go on. Geh, Kinsey schaut schon. (Madam van Hinten legt Isabella eine Armschlinge um und versucht, diese notdürftig zu verstecken)

 

H PARALLELSZENE - Umbau

Nach der Pause weist das Bühnenbild folgende Veränderungen auf: Alle Vorhänge wurden entfernt, nackte Bühne. Auf den Hintergrund Beamerprojektion mit kitschigen Motiven, Börsenkurslaufband! Komplette Vorderbühne durchlaufende Bannerwerbung. Auf ein akustisches Signal hin muß ein Schauspieler, der in der Nähe steht, jeweils weiterkurbeln. Die Schauspieler treten durch den Bühneneingang auf, wenn Publikum wieder im Raum.

KERKERMEISTER: Was ist jetzt passiert?

MADAM VAN HINTEN: Wo sind denn die Vorhänge?

McKINSEY: (erwartet sie auf der Bühne) Sie sehen die Erfolge unseres integrierten Reformmanagements, fußend auf konsequenter zero-based Dimensionierung der Aufgaben. Es war uns möglich, durch rationalisierten Einsatz von Technik die Abteilung der Bühnenmalerei outzusourcen. Dadurch konnte eine erhebliche wertschöpfungsoptimierte Kostenanpassung erreicht werden.

ESCALUS: Willkommen im Kapitalismus: nackt, kahl, zweckoptimiert.

McKINSEY: Herr ...

DIENER: Reitmeier!

McKinsey: ... Reitmeier, danke. Sie sind mir heute schon öfter durch unkooperative Äußerungen aufgefallen. Ihr subjektives Wertsystem und uneffektives Statusdenken paßt nicht mehr in unsere Zeit! Ich bitte Sie in Ihrem eigenen Interesse sich zurückzuhalten!

KERKERMEISTER: Langsam macht es keinen Spaß mehr...

McKINSEY: Unser perfekt ausgearbeitetes Modernisierungsboard zeigt die zu erwartenden Erfolge. Es war uns möglich, namhafte Leistungsträger zu motivieren, Portfolioeffekte durch Kulturwashing zu akkumulieren. Auch das Theater darf vor den modernen Zeiten nicht die Augen verschließen.

KERKERMEISTER: Aber warum werden wir nicht gefragt? Wir haben doch auch Ideen. Das ist doch Quatsch alles!

McKINSEY: Was Sie angeht, darf ich Ihnen auch einige Veränderungen mitteilen. Der Tarifvertrag wurde gekündigt. Die Geschäftsführung bietet Ihnen Verträge an, die Sie zu Honorarkräften und somit zu selbstständigen Unternehmern ihrer eigenen Arbeitskraft macht. Sie haben ab sofort die Freiheit, sich selbst optimal kranken zu versichern, für eine angemessene Rente zu sorgen, sich gegen Unfälle zu versichern und so weiter. Unterlagen besonders günstiger Privatversicherungen wird Ihnen die Geschäftsführung aushändigen.

ANGELO: Wir sind gekündigt?

McKINSEY: Nur vorübergehend. Es steht Ihnen frei, die neuen Verträge zu unterschreiben.

HERZOG: Schauspielerei auf Abruf! Ich habe Frau und Kinder! Bin über beide Ohren verschuldet wegen unserer Eigentumswohnung! Ich brauch Sicherheit! Ich pack das nicht!

McKINSEY: Ein modernes Unternehmen muß atmen. Bei guter Konjunkturlage werden Mitarbeiter eingeatmet, bei Auftragsstagnation ausgeatmet. Begreifen Sie Ihr Unternehmen als lebenden Organismus. Ihre Kündigungsfrist reicht bis zum fünften Akt. Bis dahin müssen Sie sich entschieden haben. Und übrigens, alle 2,5 Minuten muß das Werbebanner weiterbewegt werden. Sie hören jeweils ein akustisches Signal. Ach ja, auch einige Textänderungen waren nötig. Hier bitte. McKinsey händigt Blätter aus. Wir haben diesbezüglich strenge Auflagen. Für jeden vergessenen Satz muß Ihr Unternehmen Konventionalstrafe bezahlen, welche wir wiederum auf Ihren Lohn umlegen müssen, auf den Lohn Ihrer ganzen Truppe.

KERKERMEISTER: Wie? Wenn ich einen Satz vergesse, bekommen die anderen weniger Lohn?

McKINSEY: Exakt. Und noch etwas. Ab sofort gilt das Leistungsprinzip. Ihr Honorar richtet sich in Zukunft nach der errechneten Dauer ihrer Auftritte. Gerechter Lohn für pauschalisierte Leistung. Ich bitte Sie, diese Bögen am jeweiligen Ende Ihres Arbeitstages auszufüllen. Sie bekommen Pauschalen für Dialoge, Monologe, ganze Sätze, nonverbale Kommunikation, Schminkzeit, Umkleide etc. Pro Buchstaben wird Ihnen außerdem eine statistisch ermittelte Durchschnittslernzeit angerechnet.

BAZI: Für das Ausfüllen allein brauche ich schon eine Stunde. Ist das jetzt effektiv?

McKINSEY: Bitte seien Sie motiviert! Machen Sie mit! Ich möchte Sie wirklich nicht darauf hinweisen müssen, daß arbeitslose Schauspieler eine sehr gut gefüllte Resource sind. (Schauspieler stehen rum wie zerdeppert. Erst als der Knabe zu singen anfängt, kommt traumwandlerische Bewegung in die Gruppe)

 

I PARALLELSZENE - Verhandlung

McKinsey bekommt wieder Handyanruf.

McKINSEY: Oh, Herr Kolb, schön Sie zu hören. Was macht der "Urlaub" ... Ja, aha ... die Gespräche sind vielversprechend... Na, wollen wir hoffen, daß Sie gut vorankommen, bevor der Zuschauerschwund signifikant wird ... Doch, es läuft ausgezeichnet. Ihre "Selbstständigen" ... Lacht ... sind sehr motiviert. Über den ein oder andern Personalüberhang wird noch zu reden sein, aber unser Konzept zeitigt die erwünschen Erfolge. An die Chancen ihrer neuen Tarifautonomie müssen die Actors allerdings noch in mehrern Anpassungszyklen herangeführt werden, das war zu erwarten ... Lacht ... Genau, falls dies überhaupt noch erforderlich sein wird ... Ja, halten Sie mich bitte auf dem Laufenden. Danke ... Unser effizientes Kostensparprogramm macht einen Einstieg für Anleger sicher sehr attraktiv ... Ebenso! Tschüß!

 

J PARALLELSZENE - Kündigung

McKinsey tritt vor die Bühne.

McKINSEY: So, meine Damen und Herren, wir sind im fünften Akt. Wie haben Sie sich entschieden?

ESCALUS: Wir streiken! So geht's einfach nicht! Das lassen wir uns nicht gefallen!

McKINSEY: Ich möchte Sie daran erinnern, daß der Betriebsrat bereits sein ok gegeben hat. Sie haben die Wahl zwischen selbstständiger Honorarkraft oder Arbeitslosigkeit. Sehen Sie Ihre neue Freiheit als Chance! Haben Sie Mut zur Veränderung.

KERKERMEISTER: Aber er ist doch keine Freiheit, wenn man keine Wahl hat!

MADAM VAN HINTEN: Wir können nur Schauspielen! Wenn Theater glauben, ohne Schauspieler auszukommen, was soll man dann tun? Sollen die Zuschauer das Textheft lesen?

McKINSEY Bitte dramatisieren Sie nicht! Natürlich braucht ein Theater Darsteller. Unsere Verschlankungen dienen ja dazu, daß das Theater überlebt. So gesehen schaffen wir Arbeitsplätze weil wir gesunde Bereiche erhalten und kränkelnde entfernen. Wir sind Chirurgen. Manchmal ist ein tiefer Schnitt überlebensnotwendig!

LUCIO: Das ist doch pervers! Ich bin doch kein Blinddarm, den man wegwirft!

ESCALUS: Wißt ihr eigentlich, daß diese Dame hier am Tag soviel verdient wie wir im Monat: 2500 Euro mindestens!

MADAM VAN HINTEN: Du spinnst!

ESCALUS: Sehr geehrte Frau Beraterin. Wieviel verdienen Sie täglich?

McKINSEY: Meine Damen und Herren! Sie werden unsachlich und emotional. Mein Gehalt spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.

ESCALUS: Aber unseres schon! Unseres wird zu den Kosten gezählt! Ihres zu den Gewinnen! Oder?

HERZOG: 2500 Euro... stellt euch vor! 2500 Euro pro Vorstellung!

McKINSEY: Auch Sie haben die Freiheit, ihr Berufsziel frei zu wählen. Ich war beste meines Jahrgangs. Die Consulting-Gesellschaften rissen sich um mich. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft in der bessere Leistung adäquat honoriert wird.

ESCALUS: Aber Sie leisten doch nichts!

McKINSEY: Bitte! Nicht in diesem Ton!

ESCALUS: Sie bauen nicht auf! Sie reißen nur ein!

KERKERMEISTER: Shareholder Value!

ESCALUS: Genau! Ihr Neoliberalen schimpft ständig auf den Staat. Er soll die Wirtschaft nicht am Wirtschaften hindern, soll euch nicht mit Steuern gängeln, aber alles bürdet ihr dem Staat auf. Wo kommen den die Leute hin, die ihr rausschmeißt? Sorgt ihr für sie? Ihr nehmt 2500 Euro am Tag und gebt nichts! Ihr seid die wahren Schmarotzer, nicht der Florida-Uli, oder wie der heißt! Ihr seid die Parasiten! McKINSEY: Wir sind nur Berater der Unternehmen. Wir stellen nicht aus, wir rationalisieren nicht, wir geben nur Empfehlungen ab. Die Firmen holen uns ins Werk, weil sie einen neutralen Blick auf ihre Geschäfte wünschen.

ESCALUS: Die Unternehmen holen euch ins Werk, damit sie sich nicht selbst die Hände schmutzig machen müssen. Wie unser Herzog hier, der den Angelo einsetzt, genauso! Ironisch: Ach ich kann doch nichts dafür, der böse Kinsey, die Sachzwänge, die Globalisierung...

McKINSEY: Ich nehme also an, daß Sie den neuen Bedingungen nicht zustimmen. In diesem Falle endet unsere Geschäftsgrundlage hier. Ich bitte Sie daher, das Theater zu verlassen.

ESCALUS: Ihr bekommt irgendwann die Rechnung präsentiert! Verlaß dich drauf! Bis auf den Diener verlassen alle das Theater.

McKINSEY: (zum Diener) Nun, auf was warten Sie, fangen Sie an!

DIENER: Aber ich bin der einzige!

McKINSEY: Sehen Sie es als die Chance ihres Lebens! Nur Mut! Das Publikum wird begeistert sein. (Der Diener macht sich daran, alle Rollen des fünften Akts allein zu spielen. Er holt verschiedene Requisiten, die er vor sich auf den Boden legt, ebenso ein Skript)

 

K PARALLELSZENE - Übernahme

McKinsey bekommt letzten Handyanruf.

McKINSEY: Ja ... Ach Herr Kolb ... Wunderbar! Na, dann ist unser Job hier ja erledigt. Ich gratuliere uns zu unserer guten Zusammenarbeit ... Danke. Und Ihnen wünsche ich viel Glück in Ihrem neuen Aufgabenfeld ... Wie Sie wissen, ist Kinsey auch dort sehr engagiert ... Man sieht sich ... und nochmals Glückwunsch! Ade! McKinsey geht auf den sichtlich verdatterten Diener zu. Also, beenden wir nun dies Trauerspiel. Ich darf Ihnen eine freudige Mitteilung machen. Ihr Theater wurde von dem börsennotierten Unternehmen Astra Musical und OperettenCorporation gekauft. Der Verkausferlös ist ein schöner Erfolg, angesicht der sehr maroden Ausgangsbasis. Wir haben es geschafft!

DIENER: Das war von Anfang an geplant? Sie haben die Kosten kurzfristig gesenkt, um einen höheren Verkaufspreis zu erzielen? Das war ein abgekartetes Spiel?

McKINSEY: That's Business! Spannend, nicht? Aber keine Sorge. Sie sind ein schlaues Kerlchen. Bewerben Sie sich bei Astra. Ich werde Sie Herrn Kob empfehlen.

DIENER: Kolb?

McKINSEY: Ja, Herr Kolb wechselt in den Vorstand von Astra. Das gehört zum Deal.

DIENER: Ach so...

McKINSEY: So, mein Bester. Und nun räumen Sie bitte die Bühne, damit ich abschließen kann. Und auch Sie, verehrtes Publikum. Aus marktwirtschftlichen Gründen ist die Vorstellung nun leider aus. Aber ich hoffe, Sie demnächst im einen der Komplexe der Astra Musical und Operetten-Corporation begrüßen zu dürfen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß nächste Woche das neue Musical von Elton John Premiere hat: "Like a Candle in the wind". Eigens komponiert für die Eröffnung des neuen Gebäudekomplexes der Astra-Korporation in der Nähe des Flughafens. Astra verwirklicht damit ein geradezu revolutionäres neues Konzept: Musik und Wellness. Tagsüber Wellness-Massage im ägyptischen Bad und abends im gleichen Haus die einschmeichelnden Melodien von Elton John! Sie müssen nicht einmal über die Straße gehen! Ein einmaliges Angebot! Näheres im Internet unter www. astra.com. Noch einen wunderschönen Abend. Techniker! Bitte Licht und etwas softe Jazzmusik! Danke!


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